Die Geschichte der Theatergesellschaft Liptingen

Die Anfänge

In der Vereinschronik der Theatergesellschaft Liptingen e.V. befindet sich ein Schreiben vom 26.12.1874 von dem damaligen Vereinsvorstand Leopold Ackermann, der um die Spielerlaubnis für Januar 1875 nachsuchte.

Es handelt sich um zwei doppelseitige DIN A4 Blätter, also 4 Seiten. Dieses Genehmigungsverfahren ist Seltenheit, ein  Kuriosium, das für die heutigen Verhältnisse zu bewundern ist.

Man muss natürlich bedenken, dass zu allen Zeiten die Literatur und besonders das Theater dem jeweiligen Zeitgeist kritisch gegenüber standen. Die Zensur in politischer wie in religiöser Sicht stand immer mit erhobenem Finger dabei.

Die Urkunden von 1874

Seite 1

Der Vereinsvorstand Leopold Ackermann stellte am 26.12.1874 einen Spielantrag an das Bürgermeisteramt Liptingen.

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Das Bürgermeisteramt Liptingen leitete den Antrag an das Bezirksamt Stockach weiter, mit der Bemerkung, dass es sich um einen ordentlichen Verein handele.

Seite 3

Das Bezirksamt Stockach hat nach eingehender Prüfung die Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt, das Bürgermeisteramt könne nun die Spielerlaubnis erteilen.

Seite 4 / Umschlag

Das Bürgermeisteramt erteilte die Spielgenehmigung und überreichte das 4 – seitige Dokument an den Vorstand der Theatergesellschaft. Diese Schreiben, die in altdeutscher Schrift geschrieben sind, hat der Verein komplett in seinen Akten.

Der Grundstein war gelegt

Eine Anzeige im Nellenburger Intelligenzblatt vom 26.10.1873 beweist, daß der Verein schon älter ist. Bei der Fahnenweihe des Kriegervereins führte der Verein “Ein Stück vom Besten” auf. Der damalige Lehrer Herr Grießer hatte sich um das Theater sehr bemüht. Als acht Tage vor dem Spieltermin die ganzen Spieler zerstritten waren, wurde beschlossen, mit neuen Spielern, mit dem Rollenbuch in der Hand auf der Bühne  ablesend, die Aufführung durchzuführen.

Der Spielort war bis 1954 das Gasthaus “Sonne” in Liptingen, welches auch das Vereinslokal war. Der Kassenstand betrug zwischen 19,60 RM und 65,00 RM.

Natürlich gab es viele Höhen und Tiefen, so auch am 20.12.1938. Eingeübt war das Stück “Die Wilderer” oder der “Findling in der Teufelsschlucht”. Die Bühne war bereits aufgebaut, als von der Kreisleitung Stockach das Stück verboten wurde, da es von einem nicht arischem Autor verfaßt war. Der damalige Schriftführer Franz Heim notierte  am 26.12.1938:

“Es kommt im Leben eben anders als man denkt. Sollte der Eine oder Andere der Gesellschaft den Rücken kehren, sollte er sich fragen, aus Ruinen blüht neues Leben.”

Als erster liptinger Verein fanden sich nach dem Krieg 1946 unter Vorstand und Regisseur Josef Maier (genannt Schuster) etliche Spieler zusammen. Es wurde das ehemals verbotene Stück  “Die Wilderer” von 1938 aufgeführt. Der Name Theatergesellschaft durfte nicht genannt werden. Die Spielgruppe nannte sich “Freie Liptinger Spieler”. Die Genehmigung der französischen Militärregierung war dafür notwendig. Während dieser Zeit bestand noch Versammlungs- und Vereinsverbot. Erst im Jahre 1949 wurde die Genehmigung zur Neugründung der Theatergesellschaft durch die Militärregierung erlaubt. Ab dem Jahre 1954 wurden nach dem Saalumbau im Gasthaus “Löwen” die Aufführungen abgehalten. In den 50’er und 60’er Jahren wurden nur ernste Stücke gespielt, bei denen man teilweise auch Kostüme beschaffen musste. Die Leihgebühr für die Kostüme, die von Korschenbroich kamen, belief sich zwischen 250,- bis 300,- DM, die Fracht 350,- bis 400,- DM, also zusammen 600,- bis 700,- DM. Der Gewinn lag bei diesen Vorstellungen unter 100,- DM.

Anfang der 70’er Jahre gingen die Zuschauerzahlen zurück, Spieler waren schwer zu finden und so glaubte man, daß das Ende der Laienspielbühne gekommen war. Funk und Fernsehen wären eben besser. Ein alter Spieler hatte 1974 gesagt:

“Man läßt einen Verein, der über hundert Jahre besteht, nicht im Stich”

Ab 1974 wendete sich das Blatt, der Zulauf zum Amateurtheater nahm wieder zu, und es konnten auch ordentliche Preise verlangt werden.

Unter der Leitung des neuen Vorstandes Leo Kupferschmid feierte der Verein am 21. u. 22. September 1974 das 100- jährige Jubiläum.

Die Mitgliedschaft im Landesverband Amateurtheater Baden- Württemberg e.V. erwies sich als Erfolg, da Schulungen in Regie, Sprache, Maskenbildnerei und  Kulissenbau angeboten werden. Im Januar 1994  wurde das  erste  mal in der neu erbauten Schloßbühlhalle Theater gespielt. Unser Proberaum in der Schloßbühlhalle wurde zu Ehren von Josef Maier “Schusterstube” benannt. Der Ausbau der Schusterstube und des Stauraums wurde von Mitgliedern des Vereins ausgeführt. Die Theatergesellschaft investierte in diese zwei Räume und dem Bühnenvorhang 30.000,-  DM. Ohne die Hilfe der Gemeinde wären diese Bauvorhaben nicht möglich gewesen.

Am 6. und 8. Januar 1999 spielte die Theatergesellschaft Liptingen zum Auftakt des 125–jährigen Vereinsjahres ein Lustspiel mit 14 Darstellern. Das Stück “Der Ehestreik” war schon vom Fernsehen her bekannt.

Als Höhepunkt im Vereinsjahr wollte die Theatergesellschaft eine bekannte Bühne engagieren. Nachdem es mit der Mäulesmühle aus Termingründen nicht geklappt hatte, versuchte man es mit “Steiners Theaterstadl”. Aus Platzgründen mußte jedoch diese Veranstaltung nach Neuhausen in die Homburghalle verlegt werden.

Am Freitag, den 30. April 1999, gastierte dann Peter Steiner und sein Team bei über 1000 Zuschauern in der Homburghalle mit dem Lustspiel “Lass die net erwischen”

Diese Veranstaltung war für den Verein ein voller Erfolg.

Übersetzung der Urkunden

Urkunde_Seite-1

Seite 1

Löbliches Bürgermeisteramt!

Gesuch
der Liebhaber Theater
Gesellschaft Liptingens
um
polizeiliche Erlaubnis zur
Aufführung von Theater-
stücken betreffend.

Die Theater Gesellschaft zu Liptingen
beabsichtigt die Theaterstücke
“Philippine Welser” von Oskar Redwiz
und
“Er mengt sich in alles” von Jünger
am 6. 10. 17. und 24. Januar oder vielleicht
statt dem letzteren Tage am 2. Februar
1875 jeweils Nachmittags 3 und Abends
7 Uhr im Gasthaus zur Sonne dahier,
mit den Stücken je abwechselnd, mit
Erhebung von Eintrittsgeldern zur Be-
streitung der Auslagen, aufzuführen.
Löbliches Bürgermeisteramt wird

Urkunde_Seite-2

Seite 2

daher gebeten zur Aufführung der
genannten Stücke an obgereichten
Tagen gefälligst polizeiliche Erlaubnis
erteilen, bzw. höheren Orts
erwirken zu wollen, und da die Vorstellung
Abends erst um 10 Uhr endet, so bitten
wir zu unserer Erfrischung um
entsprechende Verlängerung der Feier-
abendstunde in unserem eigenen
in der Sonne abgeschlossenen Lokale.

Liptingen, den 26. Dezember 1874

Namens der Gesellschaft

Leopold Ackermann

Beschluss

Vorlage dieses an Großherzogliches
Bezirksamt zur gefälligen Ge-
nehmigung

Liptingen, den 28. Dezember 1874

Bürgermeisteramt
Kupferschmid

Seite 3

Wird genehmigt in, dem
Bürgermeisteramt über-
lassen die Feierabendstunde
jeweils zu verlängern.
Stockach am 29 ten Dezember
1874

Urkunde 1874 Seite 4

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